Der Buddhismus, das Tötungsverbot und die Kampfmönche

Es ist interessant, dass ausgerechnet der Buddhismus auf eine lange Tradition von Gewalt auf Seiten seiner ordinierten Mitglieder zurückblickt. Die kriegerischen Auseinandersetzungen in Tibet, wo sich die einzelnen Buddhistischen Schulen bekämpften. In Japan, wo sich vor allem zwischen dem 12. und 16. Jh. einzelne Klöster bekriegten, oder auch mal gemeinsam gegen einen regionalen Fürsten in den Krieg zogen. Oder in China, wo sich eine rege Kultur von Kampfmönchen bildetet, worunter Shaolin die bekannteste ist, die im verlauf ihrer Geschichte auch gegen Piraten eingesetzt wurden.

 

Was ist hier geschehen? Wurde der Buddhismus einfach uminterpretiert oder erst gar nicht verstanden? Oder haben wir im Westen vielleicht den Buddhismus nicht begriffen und schwelgen in einem mystifiziertem Wunschbild, das so nicht existiert und auch nie existiert hat? Oder ist die Anlage zur Auflösung des Tötungsverbotes schon bei Buddha existent?

 

Es ist klar, dass die Ideale einer Ideologie noch keine Aussage über den Charakter der Anhänger geben. Von individuellen Nöten getrieben und sozialen Zwängen geleitet kommt es immer wieder zu Verstößen gegen diese Ideale, die einen leiten sollten. Auch gibt es immer wieder Anhänger einer Ideologie, die nur aus Kalkül heraus etwas vorgeben. So versteckten sich beispielsweise Verbrecher oder Aufständische hinter der Mönchsfassade um unentdeckt zu bleiben, oder jemand gab sich als Mönch aus, um somit dem Militärdienst oder der Steuerpflicht zu entgehen. So ließ beispielsweise Kaiser Zhongzong 中 宗  (Reg. 684) etwa 12 000 Mönche aufgrund ihrer undurchsichtigen Ordinationsumstände in den Laienstand zurückversetzen.

 

Derartiges führte dazu, dass die Buddhistischen Mönche unter den Konfuzianistischen Beamten nicht sehr angesehen waren, die Konfuzianisten wiesen auch immer wieder auf die Diskrepanz zwischen den Regeln der Buddhisten und deren verhalten hin. Vor allem auf Alkoholkonsum, Frauen und dem rühmen übernatürlicher Fähigkeiten, was den Mönchen untersagt war. Dies erklärt aber noch nicht die entstandene buddhistische Selbstverständlichkeit diverser Konflikte bis hin zum Töten von Menschen.

 

Von Buddha selbst gibt es keine schriftliche Überlieferung. Erst lange nach ihm fing langsam eine Aufzeichnung, der über lange Zeit mündlich überlieferten Texte statt. Daher beginnen auch viele Sutren mit den Worten: Ich habe gehört. (Sutren sind "elemntare Lehrschriften" bzw. "Leitfäden")

 

Der Buddhismus sickerte zwischen dem 2. und 10. Jh. langsam in China ein, jedoch nicht als vollständiges System, sondern vielmehr selektiv und zufällig aus unterschiedlichen indischen Spielarten des Buddhismus, was auch nicht zu einem umfassenden systematischen Verständnis des Buddhismus führte. Dies bot natürlich einen Nährboden für volksreligiöse Sekten, doch das was dort populär war, genauso wie das in kreisen Buddhistischer Laien, entsprach nicht zwangsläufig dem, was im Professionellen "Klerus" gedacht und gelehrt wurde.

 

Das Tötungsverbot, das im Ursprung stärker ausgeprägt war als irgendwo anders, da es sogar auf Tiere und zum Teil sogar auf Pflanzen ausgedehnt wurde, dürfte wohl schon bei Buddha so bestanden haben. Folgt man den alten Quellen so findet man ein ausgeprägtes aktives wie passives Tötungsverbot. Das heißt, dass auch eine Handlung, wie das stellen einer Falle, das den Tod zur folge hat, genauso wie das beauftragen des Schlachtens eines Tieres, oder auch die Sterbehilfe, untersagt und kategorisch abgelehnt wird. Eine Zuwiderhandlung führt zum Vereiteln sämtlichen Erlösungssterbens und würde aufgrund des schlechten Karmas als Höllenwesen, Tier oder Hungergeist wiedergeboren. Es hätte sogar den gesellschaftlichen Ausschluss zur Folge gehabt.

 

Im ursprünglich Buddhismus ging es um das Erlangen der Buddhaschaft des einzelnen und nicht um das Errichten einer Gesellschaft. Der frühe Buddhismus hatte keine diesseitige Utopie und keinen Versuch eine Idealgesellschaft zu begründen. Er war ein Angebot, wie man aus dem 'Leid des Geburtenkreislaufes und des Lebens' (1. Edle Wahrheit) herauskommt. Die Lehre Buddhas ist für den Einzelnen und seinen Weg, den er alleine gehen muss ausgelegt. Er bietet dafür das Rüstzeug um diesen Weg zu gehen. Über die vier edlen Wahrheiten und den achtfachen Pfad, der die vierte edle Wahrheit darstellt. Das wandelte sich erst später, als der Gedanke Fuß fasste, dass alle Menschen erlöst werden sollen. Ein Kernelement des Mahayana-Buddhismus.

 

Es ging plötzlich auch darum gutes zu tun, anderen zu helfen, also gutes Karma zu erzeugen. Obwohl genau hier ein Philosophisches Problem auftaucht, denn eigentlich soll gar kein Karma erzeugt werden, weder gutes noch schlechtes. Denn es geht ja um das ausbrechen aus dem ewigen Kreislauf. Wenn jetzt jemand in eine Grube gefallen ist, aus der er aus eigener Kraft nicht mehr herauskommt, darf ich ihm helfen? Beispielsweise im Mahayana dürfte ich, obwohl es karmisch gesehen ein Problem ist. Dass der Andere in der Grube ist hat einen Karmischen Grund, ich würde damit verhindern, dass er sein eigenes Karma auflösen kann und verbinde mich unweigerlich mit dem schlechten Karma, das nun auch zu meinem Problem werden würde. Einige spätere Richtungen argumentieren, dass die Gute tat, das daraus entstehende gute Karma, das schlechte auflöst. Ob das so ist sei einmal dahingestellt, hat aber nichts mit dem ursprünglichen Buddhismus zu tun.

 

Der nächste Schritt war die Frage, ob ein böser Mensch getötet werden darf, der viel Leid über die Bevölkerung bringt. Schon in älteren Schriften wurde hie und da das Tötungsverbot relativiert, diese wurden nun von den späteren Schulen aufgegriffen. 

 

Einen starken Einfluss hatte auch das Mahāparinirvāṇa Sūtra (大般涅槃経), das wohl zwischen dem 1. und2. Jh. n.Chr. in Indien entstanden sein dürfte, und in vier, leicht abweichenden Versionen aus dem 5. Jh vorliegt. Hier heißt es, dass der Mord an einem icchantika (chin. yichanti 一闡提) keinerlei karmische Auswirkungen hätte. Ein Mensch der als icchantika bezeichnet wird sei von Grund auf schlecht, verfügt nicht über die "Wurzel des Guten" und sei unbelehrbar.

 

Da im Mahayana die Erlösung der gesamten Menschheit angestrebt wurde, wurde auch alles diesem hohen Ziel untergeordnet, wodurch die Idee der "angemessenen Mittel" entstand, die theoretisch jede Handlung, auch verbotene, mit Hinblick auf die Erlösung aller Lebewesen, legitimiert. Entscheidend sind die Absichten/Intentionen, die es womöglich als "angemessen" erachten ein Lebewesen zu Töten. Zum Beispiel um jemanden vor der Anhäufung schlechten Karmas zu schützen, oder großes Leid über andere zu bringen. Die Geisteshaltung, mit der etwas getan wird hat also entscheidenden Einfluss.

 

Ein weiterer, wohl der wichtigste Baustein in der Relativierung des Tötungsverbotes, ist die zentrale Buddhistische Theorie der Leerheit allen Seins (skr. śūnyatā, chin. kong 空) wonach alles letztlich Leer ist. Eines der wohl bekanntesten Sutras, das Herzsura, führt aus: Die Form ist nicht verschieden von Leere, Leere ist noch verschieden von Form, Form ist Leere und Leere ist Form, und dasselbe gilt für Empfindung, mentale Wahrnehmung, Geistestätigkeit und Bewusstsein.

Diesen Kerngedanken konsequent weitergedacht folgt letztlich auch die Nichtung der Existenz von Moral und Sünde.

 

Im Dazhidu lun heißt es beispielsweise:

„Also sind die fühlenden Wesen in Wirklichkeit nicht existent. Wenn nun die fühlenden Wesen nicht existent sind, gibt es auch nicht das Vergehen des Tötens. Wenn es das Vergehen des Tötens nicht gibt, dann gibt es auch keine Regel [gegen das Töten], die einzuhalten wäre. Wenn man fernerhin eingehend die fünf [das Dasein konstituierenden] Aggregate [Skt.  skandha] betrachtet, so erkennt man, daß diese leer sind wie ein Traum oder wie das Bild, das man in einem Spiegel sieht. Wenn man etwas im Traum tötet oder ein Bild in einem Spiegel, dann ist dies kein Tötungsdelikt. Man tötet die leere Erscheinung der fünf Aggregate. Und genau so [das heißt leer wie Traum- oder Spiegelbilder] sind auch die fühlenden Wesen.“

 

Wir sehen, obwohl die Vinaya-Schriften (Sammlung buddhistischer Ordensregeln und erster Teil des Pali-Kanons der die älteste zusammenhängend überlieferte Sammlung von Lehrreden Buddhas ist, der im 1. Jh. v.Chr. schriftlich fixiert wurde) nahezu eindeutig das Töten als höchste Verfehlung einstufen, so gibt es im gesamten buddhistischen Schrifttum auch Passagen, die diese Verfehlung relativieren. Diese Relativierung fußt in grundlegenden buddhistischen Ansichten, die im laufe der Zeit immer weiter ausformuliert und weitergedacht wurden. So entgegnete beispielsweise der buddhistische chinesische Gelehrte Feng Xi 馮熙 Mitte des 5. Jh. auf eher zynische Art einem buddhistischen Mönch, der gewisse Bräuche und Riten kritisierte, bei denen Tiere und Menschen getötet wurden, mit den Worten: Nach der Vervollkommnung sehen die Menschen nur noch Buddha. Wie sollte man wissen, dass man Menschen und Rinder tötet.

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